Die neue Dimension des Nah-Ost-Konfliktes: Militärgewalt potenziert die Probleme
11. Aug 2006
Mit ihren Raketenangriffen hat die Hisbollah eine Aggression vollzogen, die eine neue Qualität in der Bedrohung Israels darstellt. Erstmals erreichen Raketen die Stadt Nazareth und die Waffenlager sind derart gefüllt, dass ein Beschuss über Monate hin möglich ist. Es wird offenkundig, dass mit Hilfe Syriens und des Iran eine enorme Aufrüstung der Hisbollah-Milizen stattgefunden hat. Die Vernichtungs-Rhetorik des iranischen Präsidenten Achmadinedschad gegenüber Israel hat in den Raketen der Hisbollah eine konkrete Gestalt angenommen.Die Militäraktionen Israels, die Bombardements und die jetzt verschärften Bodenkämpfe, sind keine angemessene Antwort auf die verbrecherische Entführung israelischer Soldaten durch die Hisbollah und keine Strategie zur Verhinderung der Raketenangriffe auf israelische Städte. Zu Recht ist die Empörung der weltweiten Zivilgesellschaft über das Vorgehen Israels groß.
Bisher sind nach libanesischen Angaben in diesem Krieg rund tausend Menschen, zumeist Zivilisten, getötet worden; über dreitausend Menschen wurden verwundet und in Massen fliehen die Menschen vor den Bomben und Raketen. Im israelischen Grenzgebiet zum Libanon leben die Menschen in ständiger Angst vor den Raketen der Hisbollah, fast 100 von ihnen sind bei den Angriffen umgekommen. Über 50 israelische Soldaten und etwa 400 Milizionäre der Hisbollah sind bislang in den Kämpfen getötet worden. Die Zerstörung von Beirut und weiterer Städte und Dörfer im Süden Libanons wird mit jedem Kriegstag größer und die Not der Zivilbevölkerung nimmt zu, da Hilfsorganisationen mit ihren Transporten die Bedürftigen nicht erreichen können.
Hier zeigt sich eine neue Dimension des Nah-Ost-Konflikts. Das vierwöchige Bombardement des Libanon demonstriert zwar das gewaltige militärische Potential Israels. Es offenbart aber gleichzeitig, wie unmöglich es ist, die perfide Gewalt der Hisbollah-Milizen auf diese Weise zu beenden. Wenn Waffenlager in Wohngebieten von Zivilisten und neben Krankenhäusern eingerichtet werden, wenn ein neutraler Staat zur Operationsfläche von Anschlägen missbraucht wird und wenn die Drahtzieher der Gewalteskalation sich hinter Milizionären verstecken können, führen militärische Antworten zu einer weiteren Verschärfung der Lage. Die Eskalation der Gewalt mindert die Sicherheit Israels in der Region und vermehrt die Zahl der Todesopfer und Flüchtlinge; sie schließt Verletzungen des Völkerrechts und der Menschenrechte ein, sie schürt den Hass und stärkt die radikalen Kräfte.
Die gegenwärtige dramatische Eskalation erschwert auch eine Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts und wirft die Friedensbemühungen im Nahen und Mittleren Osten insgesamt zurück. So ist auch dieser Krieg eine Niederlage für die Menschheit.
Alle Bemühungen um eine sofortige Beendigung des Krieges im Libanon müssen sowohl auf Israel und die Hisbollah als auch auf Syrien und Iran gerichtet sein. Nur so werden die Voraussetzungen zur politischen Lösung des Konflikts geschaffen. Konkret fordert pax christi:
die sofortige Einstellung aller Kampfhandlungen im Libanon und Wiederherstellung der Integrität des libanesischen Staates;
die schnellst mögliche Verabschiedung einer UN-Resolution, die die Stationierung von internationalen Truppen im Libanon und den Rückzug Israels möglich macht, um weitere Übergriffe dauerhaft zu unterbinden und eine Entwaffnung der Hisbollah durchzusetzen;
unverzügliche Verhandlungen über die Freilassung und den Austausch von Gefangenen und entführten Soldaten;
den Stopp von Waffenlieferungen u.a. aus den USA und Deutschland an Israel sowie aus Syrien und Iran an israelfeindliche Kräfte.
Von der Bundesregierung erwartet pax christi eine Politik, die alle Bemühungen um einen Waffenstillstand ohne Vorbedingungen unterstützt. Dazu gehören insbesondere:
die Stärkung der libanesischen Regierung, damit diese die Kontrolle über den Südlibanon gewinnen kann,
Hilfen zur Bewältigung der akuten Notlagen,
Unterstützung von Maßnahmen der UNO zum Schutz der Zivilbevölkerung in Israel und dem Libanon sowie zum Stopp aller Rüstungslieferungen,
eine Initiative zusammen mit Frankreich und weiteren Ländern, um Syrien und Iran zu bewegen, eine Friedensordnung im Nahen Osten mit zu schaffen, die eine gesicherte Existenz Israels, Libanons und Palästinas garantiert.
pax christi fordert zur Unterstützung von Friedens- und Menschenrechtsgruppen in der Konfliktzone auf und leistet selbst solche Unterstützung.
Bad Vilbel, den 11. August 2006